Aggression ist auch nur Kommunikation

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01 Mär 2017 22:43 #1008 von Kangalmischling
Kangalmischling antwortete auf das Thema: Aggression ist auch nur Kommunikation
Ich finde auch, sehr schön beschrieben und geschrieben.

Bin auch schon gespannt wie es weiter geht und wie die Lösung aussieht.

LG Heike und Escobar
Gismo (Kangal-Mastin-Espanol-Mischling),
Cem (Kangal), Skayla (Kangal) und Joker (Kaukasischer Owtscharka) im Herzen

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05 Mär 2017 20:40 #1019 von Walky
Walky antwortete auf das Thema: Aggression ist auch nur Kommunikation
Hat ein wenig gedauert aber jetzt geht's los mit dem "Panzerknacken". Ich hab erst mal an der Basis gearbeitet, nämlich an mir. Ich hab mich belesen, besonders im Bereich der Verhaltensforschung. Hab an Seminaren, Workshops, Webinare usw. teilgenommen. Meine Körpersprache zu schulen war dringendst nötig. Ich bin so erschrocken als ich mich auf Video sah, in der Beziehung war ich ein richtiger Schlaffi. Stundenlang hab ich mir Hundeverhalten auf Video angeschaut, dem Internet sei Dank. Ich hab mein privates Forschungsprojekt gestartet, um neutral an die Sache ran zu gehen.

Bindungsarbeit und Gewöhnung statt Erziehung ?

Auf weite Sicht besteht mein Plan daraus, einen in sich ruhenden, souveränen Hund aus ihr heraus zu holen. Genau den Eindruck hatte ich nämlich von ihr beim ersten Treffen und mein Urteilsvermögen funktioniert eigentlich.
Gerade die Fähigkeit zur tiefen Bindung ist doch eine der herausragenden Eigenschaften der HSH. Sie sind dazu gemacht, sich Artübergreifend binden zu können. Diese Hunde lernen durch Gewöhnung die Bandbreite der täglichen Arbeiten und (Jahres)Abläufe kennen. Die jungen Hunde schauen sich das Verhalten der erwachsenen Hunde und der Hirten und ihren Familien, ab. Von Walky kann ich das bestätigen. Sie hat eine rasche Auffassungsgabe und lernt durch beobachten und nachmachen. Ich versuche ihr Vorbild zu sein, ruhig und konsequent. Erst als ich das gelernt hatte, konnte ich das auch an sie weiter geben. Folgende Schwerpunkte hab ich mir als wichtig erdacht:
Spielen - Sicherheit und Grenzen - Bedürfnisse des Hundes erkennen und achten- Bedürfnisorientierte Belohnungen finden - Hundegerechte Führung durch Beachtung und Anwendung der Sozialgesten und des Ausdruckverhaltens/ Körpersprache - Den Hund in seinen Stärken fördern und fordern - Gemeinsame Erlebnisse.

Spielen

Ich habe gelesen, HSH spielen nicht. Walky hat das anscheinend auch gelesen. Jeder Versuch in diese Richtung wurde über ein Jahr lang, mit verständnislosem oder gelangweiltem Blick quittiert.
Natürlich spielen Hunde und das trifft auch auf Walky zu. Sie spielt mit toten Mäusen, oder mit nem gefundenen Stöckchen, Blättchen, mit andren Hunden etc. Nur nicht mit mir. Noch nicht.
Über ein Jahr hab ich immer wieder auf verschiedene Arten versucht sie zu animieren. Ich hab mich echt zum Affen gemacht. Meine Mühe hat sich aber gelohnt.
Den Durchbruch brachte mir ein Diebstahl. Walky fing eine Ratte, tötete sie und begann mit ihr zu spielen. Dabei wirft sie die immer durch die Luft. Ich hab die Ratte einfach mal gefangen und bin damit abgehauen. Walky hinterher und das erste kurze Rennspiel entstand, ein paar Minuten lang. Eklig, (fand nur ich) aber effektiv als Türöffner;)
Ausgelassenes Spiel ist selbstmotivierend, selbstbelohnend und fördert die Bindung durch Ausschüttung des Hormons Oxytocin. Liebevoller intensiver Blickkontakt ebenfalls, da machen Hunde nämlich einen Unterschied zwischen Mensch und Hund. Deswegen kuscheln wir nach jedem Spiel und auch währenddessen kommt es immer mal zu Spiel mit engerem Körperkontakt. Außerdem spendiert (ab der 5. - 24. Minute) der Körper Endorphine und diverse Hormone. Hund will das tolle Gefühl natürlich immer wieder, es macht halt riesig Spaß.
Vielspieler haben einen geringeren Cortisolspiegel und sind somit im gesamten Leben entspannter. Es wirkt sich positiv auf die Frust- und Stresstoleranz aus. Das wiederrum kann man gut vor einer stressigen Situationen nutzen, wie z.B. ein Tierarztbesuch.
Im Spiel haben wir unsere Körpersprache kennengelernt und uns aufeinander eingespielt. Mit der Zeit erfährt man während der Interaktion wie z.B. Bewegungseinschränkung, zu mir locken usw funktionieren; das Alles im Rahmen von "Wir spielen nur". Wenn sie was doof fand, hab ich eine Spielaufforderung gemacht, heißt soviel wie "Oh sorry" und weiter ging es. Lernen fällt im Spiel leichter und erlerntes sitzt wesentlich schneller und besser. Das Erspielte überträgt sich auch in den Alltag und hilft mir so in allen Bereichen des Umgangs. Seit wir so spielen sucht Walky auch draußen viel häufiger Kontakt, obwohl sie in der Wildnis sehr autark ist. Seit sie erwachsen ist, spielt sie mit Artgenossen nur noch kurz und seltener. Mit uns macht sie das mehrmals täglich und wenn es nur kurz zwischendurch ist.
Wer wann, wen auffordert zum Spiel, oder es beendet, spielt absolut keine Rolle! Es geht hier nicht um "Rangfolge". ( Solange niemand genötigt wird natürlich. ) Denn Vorsicht! Spiel verfolgt kein Ziel! Sonst ist es kein Spiel!!! Die positiven Effekte fallen dann weg. Disziplinierungen, Befehle etc. haben da nix verloren. Deswegen spiel ich nur Körpersprachlich, ausgenommen Spiellaute. Mir hilft das. Agility, Apportieren, Ball werfen usw., ist kein Spiel, sondern Beschäftigung.
Jeder Hund spielt (behaupte ich jetzt einfach frech), viel oder wenig, lang oder kurz, je nach Veranlagung. Ausgelassenes Spiel hat Null Nachteile und viel mehr Vorteile als ich jetzt angesprochen habe. Sich damit zu Beschäftigen sollte Pflicht jedes Hundebesitzers sein und wer das mal getan hat wird mir da zustimmen.

Wir können den Wind nicht ändern aber die Segel anders setzen. Aristoteles

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05 Mär 2017 20:56 #1020 von Walky
Walky antwortete auf das Thema: Aggression ist auch nur Kommunikation
Grenzen und Sicherheit
Zu allererst wurde jeder Spaziergänger genutzt und einbezogen. Walky muss immer auf die abgewandte Seite, ein leises "Ist gut Mädchen" und dann hab ich die Leute einfach angequatscht. Wollte jemand Walky anfassen oder kam uns zu nah, hab ich ihn durch ruhige und deutliche Körpersprache gestoppt. Auch rüpelig ankommende Hunde stoppe ich so. Walky mag es überhaupt nicht wenn man unaufgefordert ihre Individualdistanz unterschreitet. Ich als Familienmanagerin sorge dafür. In meiner Nähe kann man sich sicher fühlen. Es imponiert Hunde sehr, wenn Frauchen andere aus der Ferne in der Bewegung einschränken kann. Als ich sie noch nicht beeinflussen konnte, wenn Walky mal tobte, wurde darauf einfach nicht eingegangen. Ich hielt sie schön kurz und führte in aller Seelenruhe mein Gespräch weiter. Dabei stehe ich nicht zu nah an den Leuten. Bei ihr wirkt das und sie beruhigt sich nach einiger Zeit. Ich hab den Leuten immer gesagt der Hund hätte Angst. Dann ist sofort jeder gern bereit den tobenden Fiffi zu ignorieren während man nett plaudert;) Erst wenn sie sich beruhigt hatte, wurde sich verabschiedet. Als Belohnung schicke ich Walky an die Stelle schnüffeln, an der mein Gegenüber stand. Das hat einen hohen Belohnungswert da es in diesem Moment sowieso nicht wichtigeres für sie gibt als diesen Geruch zu erforschen. Das meinte ich mit bedürfnisorientierte Belohnung.
Es dauerte vielleicht 2 Wochen bis sie anfing, sich hinter mir mit schnüffeln zu beschäftigen, wenn ich mit den Leuten da stand. Einen Schritt weiter ging ich aber erst, als sie begann nach Mäusen zu suchen.
Von da ab gab ich den Leuten auch die Hand zur Begrüßung. Walky beobachtete das zwar aufmerksam aber wendete sich dann lieber ihrer Umwelt zu. Ganz entspannt war sie etwa nach einem 3/4 Jahr. Heute ist sie draußen zwar wachsam aber an fremden Menschen nicht mehr besonders interessiert.
Verhält sich der jenige aber komisch oder auch nur anders als sonst, muss ich aufpassen und evtl. übernehmen. Lassen wir uns unterwegs nieder, dauert es nicht lange und sie stellt sich strategisch klug auf Wachposten. Kommt jemand meldet sie das zwar, aber wieder ein " Ist gut Mädchen" und gut ist dann auch.
Dieses "Ist gut Mädchen", ist übrigen mit Entspannung verknüpft. Das flüstere ich immer beim kuscheln wenn sie so richtig tiefenentspannt ist. Diesen Satz benutz ich immer wenn Hund meint es drohe Gefahr durch Eindringlinge jeglicher Art. Übrigens, glücklicher und viel entspannter ist/wird man, wenn man lächelt. Hilft Frauchen bei unangenehmen Situationen.

Viel schwieriger war die Besuchssituation im Haus. Auf Wunsch eines einzigen Fusselviehs drohte uns schnell die Vereinsamung. Was wir auch probierten, es wurde zwar besser aber so endgültig funktioniert hat nichts. Sie ging zwar auf ein erlerntes "Auf deine Decke" auch auf ihren Platz ins Wohnzimmer, aber löste das von selbst auf, sobald sie hörte, das sich hinter dem Besuch die Tür schloss. Freundlich war sie dann nicht. Es klappte erst als wir ein Türgitter für Kinder zwischen Flur und Wohnzimmer anbrachten. Hund also hinters Hunde-Türchen (da kann sie alles beobachten), Besuch wird herein gelassen, nimmt in der Küche Platz und wenn Walky dazu geholt wird (zu Beginn an der Leine), ist sie absolut freundlich und freut sich auch. Dieses Ritual braucht sie auch heute bei fremden Menschen sonst könnte sie übergriffig werden. War jemand schon einmal da, braucht sie das nicht mehr und wartet auch bis ich sie frei gebe. Nur wenn Familienmitglieder kommen, darf sie mit mir zusammen die Tür öffnen.

Mit ca. 1,5 Jahren fing sie langsam an territoriale Tendenzen gegen Hunde zu entwickeln. Das 1. mal ist mir das aufgefallen, als Walky anfing ihre Hundekumpels zu maßregeln wenn die in ihrer Straße andere anpöbelten. Das weitete sich aus, auf alle öfter begangene Strecken. Fremde Hunde duldet sie ca 1 km ums Haus absolut nicht. Irgendwann fiel mir auf, das sie jeden der sich uns anschloss, nach kurzer Zeit als zugehörig empfand und mit schützt. Mal schauen das sich das auch auf Hunde übertragen lässt, dacht ich mir. Also hab ich mir nen leichteren Fall zum austesten gesucht, einen recht souveränen Rüden einer Bekannten aus'm Ort. So hat es sich bewährt: Der fremde Hund und Besitzer gehen vor und ich halte soviel Abstand, das beide Hunde keine Stresssymptome zeigen. Dann nähere ich mich an, die Körpersprache beider Hunde entscheidet wie schnell.
Jedes alternative Verhalten (z.B. schnüffeln ) zur Aggression, wird gelobt. Jedes aufmucken wird von mir durch Bewegungseinschränkung unterbunden. Falls nötig vergrößere ich wieder ein wenig den Abstand. Bei diesem Rüden reichte 1 mal diese Prozedur und es dauerte bis zur Spielaufforderung ca 30 min. Bei der Supergau-Erzfeindin dauerte es bis zum nebeneinander laufen 2 Std. und muss immer mal wieder aufgefrischt werden. So angenähert ist Walky anschließend nicht mit jedem der Hunde befreundet aber wir können vernünftig miteinander umgehen. Inzwischen ist Walky 4 Jahre alt und merklich erwachsen geworden. Selbst in Haus nähe wird sie immer duldsamer. Sie begegnet auch fremden Hunden sehr Stolz und souverän.
Sie wurde mal von einem Hund attackiert, der schon gebissen hatte. Sie ließ diesen Angriff einfach von sich abprallen und tänzelte weiter als wär nix gewesen. Sehr beeindruckend.
Wenn sie doch mal pöbelt, kann ich sie immer öfter schnell stoppen. Wahrscheinlich hat sie Angst wieder hinterher latschen zu müssen:)

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05 Mär 2017 21:00 #1021 von Walky
Walky antwortete auf das Thema: Aggression ist auch nur Kommunikation
Nutzen der Sozialgesten.
Mit "Manipulationen" an ihr hatte sie eindeutig ein Problem wie z.B. beim anziehen des Geschirrs, Pfoten säubern, Kämmen, festhalten, geriet sie ziemlich unter Stress. Dabei beschwichtigt sie was das Zeug hält.
Rituale helfen ihr bei solchen Problemen enorm. Geduld nicht vergessen.
Beispiel Geschirr anziehen: Ich hock mich immer an die selbe Stelle im Flur, mit immer der selben Reihenfolge der Abläufe. Dann mach ich diese Sozialgesten nach, ein bisschen über die Lippen lecken, gähnen, offener Mund, Oberkörper und Gesicht von ihr leicht abgewandt und man sieht sofort einen Unterschied. Sie entspannt, kommt freiwillig und lässt machen. Hand mit dem Geschirr kommt dann von unten. Die Schnallen schließe ich von der Seite. Zum Dank bekommt sie danach immer die Mähne geschrubbelt.
Gekämmt wird sie nur beim gassi gehen. Immer mal zwischendurch. Danach gibt es immer ein Zerrspiel o.ä. zur Belohnung. Denn durch die Bewegung kann sie den Stress abbauen. So kommt sie inzwischen freiwillig auch wenn sie die Bürste schon sieht.

Das mit diesen Sozialgesten und dem Ausdrucksverhalten, hatte ich gar nicht so aufm Schirm. Klar, das sowas wie Züngeln, weg schauen, etc. eine Beschwichtigung ist, wusste ich schon. Aber wieviel Kommunikation da noch dahinter steckt und wie vielschichtig das eingesetzt wird, hat mich überrascht. So wird eine "Imponiergeste", wie über den anderen Hund stellen, durch geänderte Feinheiten, zum Ausdruck für Bindung. Und umgekehrt. Wehe dem der da pauschalisiert und nicht die anderen Signale gleichwertig beachtet. Da kann es schnell zu Missverständnissen kommen. Hunde senden auf mehreren Kanälen; schrieb Dr. Feddersen-Petersen in Ihrem Buch "Hundepsychologie".
In unserem Fall haben wir einen Sprung nach vorn gemacht, als ich endlich anfing das zu verstehen und auch umsetzen konnte. Das alles in Kombination ist so komplex. Die angelesene Theorie dann auch noch in der Interaktion zu erkennen, bei 2 oder mehreren Hunden, fiel mir richtig schwer. Ausdrucksverhalten, Laute, Berührungen und Geruch, alles machen die gleichzeitig und das soll ich noch zu einem Ganzen zusammen fügen. Da muss mir mein Hund noch ganz schön viel beibringen;)
Aber es wird belohnt. Obwohl ich erst nur einen Bruchteil davon kenne, bringt es mir schon jetzt enorm viel bei ihrer Beeinflussung. Viel mehr als jeder noch so gut gelernter Befehl. Denn die scheint sie eher als eine Art Vorschlag zu verstehen. Auflösbar. Das soll es erstmal gewesen sein. Ich hoffe ich konnte mich verständlich ausdrücken. Fortsetzung folgt... Dann gehts um Befehle.
Grüße von Tanja mit Walky

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06 Mär 2017 15:08 #1025 von Emma
Emma antwortete auf das Thema: Aggression ist auch nur Kommunikation
Ich hatte noch keine Zeit zum Lesen, Tanja
aber ich bin beeindruckt.
Vielen Dank, schon mal im Voraus, für die Arbeit!!

Herzliche Grüße
Hanne mit Emma

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07 Mär 2017 11:27 #1035 von Elvira
Elvira antwortete auf das Thema: Aggression ist auch nur Kommunikation
Liebe Tanja,
Wow - echt beeindruckend … Wie toll zu lesen, dass die ganze investierte Mühe sich so auszahlt – natürlich für Hund UND Mensch :cheer:
Ich fand und finde es manchmal schon recht schwierig, sich das für den individuellen Hund richtige rauszulesen. Denn manchmal habe ich das Gefühl, dass viele Tipps und Theorien als "das einzig wahre Heilmittel" dargestellt werden … Deswegen sind wir auch immer dankbar für unterschiedliche Tipps, denn es oftmals führen mehrere Wege zwar nicht nach Rom aber zum Herzen eines Hundes. :kiss:
Ich freue mich schon auf Deine weiteren Berichte – vielen Dank für die Mühe und liebe Grüße

Elvira mit Bono
und Jackson, Elvis & Otis im Herzen

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