Aggression ist auch nur Kommunikation

Hallo an alle. Ich möchte wie gewünscht unsere Geschichte erzählen und zeigen das kein Hund aggressiv sein möchte. Es gibt immer einen Weg, Aggression ist auch nur Sprache. Ich fang heute mit den Problemen an und schreibe dann, bei Gelegenheit, weiter. In 3 Jahren ist viel passiert, das muss ich erst mal sortiert bekommen.
Folgende Vorgehensweise ist anpasst auf die Charaktere und Situationen meiner Familie und unsrer Walky. Jeder muss seinen Weg selbst finden. Ich erzähle nur von dem was uns voran brachte, was nicht heißt das es keine Fehlschläge gab. Ich bin manchmal schier verzweifelt. Auch (Vor allem) an mir selbst. Was funktioniert, sieht man nur wenn man es versucht hat. Für vieles musste ich mir erst das Recht erarbeiten bevor ich es anwenden konnte. Dazu gehört es zB, sie in der Bewegung einzuschränken oder körperlich festhalten, wenn es ernst wird. Ich kann mir nicht vorstellen das Walky so etwas körperliches wie zB ein Alphawurf von irgendjemand akzeptiert hätte. Selbst wenn ich mich getraut hätte, bin ich nicht der Typ Mensch der so etwas glaubwürdig rüber bringen kann. Und das sollte man bei Hunden immer sein, echt. Zwar hatte der Hund uns gegenüber nie offene Aggression gezeigt aber eine deutliche Meinung zu den Dingen hatte sie schon.
Im Endeffekt haben wir Walky nicht erzogen, sondern überzeugt. Wir sind in Grundlegenden Bereichen sehr konsequent aber ohne Herrschaftsdenken. Ansonsten darf sie nach Möglichkeit ihr Ding machen, Hund sein, auch wenn sie wieder ewig braucht beim Mäuse buddeln oder sich vielleicht in irgendwas stinkiges schmeißt. Sie folgt inzwischen gerne und hat Spaß an der "Arbeit" wenn der Führende auch die passenden Qualitäten aufweißt. Gleichzeitig ist sie trotzdem sehr selbstständig. Sie ist ein Charakterkopf mit einem großen Kuschelherz. Gott sei Dank haben wir sie behalten!

Ich hielt es nicht mehr aus ohne Haustier.
Ich bin erblich vorbelastet. Meine Eltern hatten immer 2 Hunde und allerlei anderes Getier. Mein Opa war sehr erfolgreich im Schutzdienst mit seinen Schäferhunden und bildete später Hunde aus, die dann in den Polizeidienst gingen. Die anderen Großeltern züchteten 25 Jahre Airedale - und Welsh Terrier. Da bekommt man viel mit sodass ich dachte, einen Hund erziehe ich locker nebenbei. Zumal wir seit über 20 Jahren auch Pferde haben und diese selbst ausgebildet hatten. Diese Ära ist aber für mich, seit dem Tod meiner Stute Hella von Sinnen, beendet.

Der Hund sollte relativ unkompliziert sein. Möglichst kein Ex Straßenhund. Aussehen egal. Unternehmungslustig aber kein fordernder Übersportler. Kinderlieb. Wir wohnen ländlich und haben einen kleinen, eingezäunten Garten aber NICHT mit direktem Zugang zum Haus. Die Schwiegereltern wohnen unten. Wenn ich arbeite, soll der Hund mit ins Geschäft.
Walky sollte passen, laut der Dame vom Tierschutz. Rumänischer Hütehund Mix, 60 cm, ca 1 Jahr alt.
Wir gingen 1 Stunde gassi und sie zeigte sich reserviert aber nicht unfreundlich. Wir haben uns zurück gehalten und sie in Kontakt mit uns treten lassen aber da kam nicht so viel.
Ein fröhlicher Hund war sie schon mal nicht. Sie wirkte sehr ernst und auffallend ruhig, dass sollte auch lange so bleiben.
Wir probierten aus wie sie auf die Dynamik unserer Tochter reagierte und da konnten wir die Äugelein mal strahlen sehen. Sie war unglaublich lieb mit dem Kind. Ansonsten ging ihr Blick schon eher Richtung schwerer Depression.
Wir schliefen eine Nacht drüber und entschieden uns für Walky. Ihre Freude an dem Kind war Ausschlag gebend.

Am ihrem ersten Tag kuschelte sie den ganzen Tag über mit meiner Tochter und schlief viel.
Abends waren wir alle zusammen gassi und die Hundebegegnungen liefen gut.
Zuhause stand der Schwiegervater im Hof und wartete auf uns. Er hatte den Hund ja noch nicht gesehen. Die Tochter lief zu ihm, sprang in seine Arme und Walky griff ihn sofort an.


Grauenvoll, wir waren echt erschrocken und vor allem überrascht.
Durchatmen. An kurzer Leine musste sie es aushalten das die 2 sich nah sind. Sie beruhigte sich irgendwann. Die nächsten Tage lernte Walky die Schwiegereltern gehören dazu, einfach in dem wir zusammen Zeit verbrachten. Und da gibt's Buttermilcheis. Sie ist ein absolutes Süßmaul, sonst war sie eher mäkelig mit Futter.
Am nächsten Tag kamen wir an 2 Eseln vorbei. Walky zeigte sich freundlich neugierig bis meine Tochter die Esel streicheln wollte. Blitzschnell die Attacke und dann hat sie dermaßen getobt, das sie sich an der Leine überschlagen! hat, nur um dahin zu kommen. Bei Nachbars Katze das gleiche.
Das gibt's doch gar nicht! Atmen..
Es sieht bei ihr aus wie ein verbeissen, sie schüttelt auch. Doch ohne jeglichen Druck. Beißhemmung sitzt also. Oder es wirkt wie ein Bodycheck und haut einen fast um. Die Geräusche dabei erinnern an das Wolfsrudel im Tierpark während der Fütterung.
(Ist das knurren eurer Hunde auch "wölfischer"? Soll natürlich nicht heißen sie wär ein solcher, ich weiß nur nicht wie ich es anders beschreiben soll. Irgendeiner ihrer "Opfer" sagte mal, das Knurren wäre das schlimmste.)

Immer wieder, in verschiedenen Situationen diese Angriffe.
Uns wollte jemand die Hand geben.. Attacke..Zum Hund beugen...oder schlimmer noch in Richtung Kinder..Attacke
Sie muss die Kinder nicht mal kennen, sie schützt einfach alle.
Jemand Fremdes will unsere Wohnung betreten oder bei mir auf der Arbeit.. Sie ging nach vorn.
Sie droht zwar vorher, aber nur minimal und da wars schon passiert. So wahnsinnig schnell.
Griffen wir ein, zeigte sie Abwehr schnappen. Also am besten ruhig bleiben und raus aus der Situation. Anfangs dachten wir, sie wär halt unsicher. War sie auch, allerdings nur wenn Menschen sich ihr in gebückter Haltung zu wenden. Ansonsten wirkt es eher wie ein Lauern. Ohren nach vorne, gerade Haltung " Komm nur Mensch, gib mir nen Grund".
Ach ja und jagen kann die..Auf Sicht oder Geruch, Hund von Welt ist da flexibel. Das bringt sie dann auch zuende, wenn sie das Tier bekommt. Nur bei Wildschweinen nicht, da pumpt sie sich knurrend auf und stellt sie sich quer vor einen.
Müll an Straßenrändern trug sie durch die Gegend und verteidigt ihn gegen andere Hunde.
Bei Stress oder wenn's nicht nach ihrem Kopf ging zeigte sie ganz massive Übersprunghandlungen wie Kratzen oder Lecken etc. Sie fiel einfach in sich zusammen, egal wo. Außerdem hatte sie Anfangs ständig Durchfall und Magen Darm Infekte und holte mich Nachts öfters aus dem Bett. Sie pinkelte öfter Tags über ins Schlafzimmer.

In der Hundeschule zeigte sie mir den Stinkefinger.
Ein Trainer der ins Haus kommt wurde bestellt.
" Da knurrt mich aber ein schöner Herdenschutzhund an" sagte dieser zur Begrüßung.
Ich soll mich informieren, die wären eine Herausforderung.
Was denn noch alles?
Eine Baustelle nach der anderen..Liegt es an uns? Zweifel ohne Ende. Aber ab dem 1. Tag? Da hatten wir ja noch gar keine Chance bei ihr was falsch zu machen.
Ich bin mit ihr im Schnitt morgens 1.5-2 Std, mittags 1 Std und abends im Sommer nochmal mindestens 1 Std in Wald- Feld unterwegs. Sie hat ja keinen Zugang zum Garten außer wir halten uns auch da auf. Es zieht sie schon merklich nach draußen. Besonders als es hieß sie wär ein HSH, hatten wir diesbezüglich Zweifel. Draußen waren wir bei ihr ziemlich abgeschrieben, besonders an Mauselöchern.
Ich hab gemerkt wie stark uns ihr Verhalten negativ beeinflusst. Die Tochter hatte inzwischen Angst bei diesen Vorfällen. Und wenn Walky ihre Angst spürt ist der Ofen grad ganz aus.
Das war alles nicht lustig und ich hab mich gefragt ob das nicht ne Nummer zu groß für mich ist.
Ich fühlte mich etwas ratlos und mein Mann wollte gar nicht mehr gassi gehen.
Es musste dringend was passieren bevor sie vielleicht doch mal beißt.
Zurück ins Tierheim bringen? Die wird doch ein Wanderpokal.

Ich musste den Blickwinkel verändern. Ich sah nur noch die Widrigkeiten. Ich hab nur noch auf ihre Körpersprache geachtet. Kopf geht hoch ,Ohren auch ein Stückchen, schließt das Maul, stellt den Kragen, sie wächst, ihre Bewegungen schwingen nicht mehr usw.
Wann muss ich spätestens eingreifen? Wann kippt es? Bei welchem räumlichen Abstand geht das los.
Ausprobieren. Wer ist Walky überhaupt, was ist ihre Motivation? Wann ist es Schutz oder Unsicherheit...
Bis wohin ist sie ansprechbar?
Sie ist beeindruckend wenn sie ihren Job tut. Ein ganz anderer Hund plötzlich.
Mein Charakterzug in allem etwas Gutes sehen zu können hat mir bei unsrer Trulla sehr geholfen.
Und meine Geduld.
Ansonsten war sie ganz sanft. Sie fügte sich gut in den Alltag und machte brav alles mit. Auch auf Veranstaltungen. Es gab ja auch Leute die sie mochte.
Die meiste Zeit lag sie Kuschelbereit danieder. Oder schmiss sich einem deswegen vor die Füße, aus dem Sprint wenn's sein muss. Ich hab noch nie ein so verkuscheltes Tier erlebt. Da war sie aber auch sehr fordernd. Aber bitte ohne zu großen Körperkontakt. Das konnte sie nicht aushalten und ist dann gegangen.
Inzwischen können wir sie aber durch knuddeln und sie genießt es sichtlich. Seit ca einem Jahr kuschelt sie richtig innig. Aber das ist der Familie vorbehalten.
Das wars erst mit ihrem Sündenkatalog. Fortsetzung und Lösungsfindung folgt.

Lg Tanja mit Walky

Auf die Fortsetzung und Lösungsfindung bin ich sehr gespannt, Tanja.
Danke für den ersten Teil, in dem viel Arbeit steckt.
In vielen Situationen, die Du geschildert hast, erkenne ich meine Familienschützerin.
Hoffnungsvoll warte ich auf die Fortsetzung.

Total schön geschrieben.
Viele Situationen kenne ich auch nur zu gut.
Ich freue mich schon auf deine Schilderung, wie du es hinbekommen hast

Kompliment für diese Schilderung Tanja ... ist nicht einfach, die Geschehnisse so "neutral" zu beschreiben. Auch ich brenne auf Fortsetzung ...

Als ich mich um Assira bewarb, und ich erfuhr, dass sie ein HSH-Mix ist, hatte ich genau vor diesen Situationen Bammel. Bei uns hat sich alles anders entwickelt, und die Baustellen liegen anderswo.

Es gefällt mir, dass ihr euch der Situation stellt, und nicht aufgebt. Wie ihr das meistert, darauf bin ich gespannt zu lesen ...